Spondylolisthese (SL), Wirbelgleiten, Spondylolyse
Definition. Der Begriff „Spondylolisthesis“ beschreibt den Vorgang des Wirbelgleitens nach ventral in Relation zum darunterliegenden Wirbel. Die „Spondylolyse“ beschreibt einen knöchernen Defektzustand in der Pars interartikularis (Isthmus), der sowohl einseitig als auch beidseitig auftreten kann.
Klassifikation der Spondylolisthese nach Wiltse und Rothman:
- Typ 1 Kongenital (lumbosakrale Anomalie)
- Typ 2 Isthmisch (Defekt in der Pars interartikularis, genetische Prädisposition)
- Typ 3 Degenerativ
- Typ 4 Traumatisch (Lokalisation der Fraktur ≠ Pars interartikularis)
- Typ 5 Pathologisch (Folge einer generalisierten oder lokalisierten Knochenerkrankung)
- Typ 6 Postoperativ
Im Folgenden erfolgt die Betrachtung der beiden klinisch im Vordergrund stehenden Typen: die isthmische (Typ 2) und die erworbene degenerative Spondylolisthese (Typ 3)
Epidemiologie.
Isthmische Spondylolisthese. Eine echte kongenitale Spondylolyse beim Neugeborenen ist eine extreme Rarität, so dass davon ausgegangen werden kann, dass Spondylolysen bei den meisten Patienten im Verlauf der Kindheit und Jugend entstehen. Angaben über die Inzidenzen von Spondylolysen schwanken bis zu 11,5 % mit einer Häufung beim männlichen Geschlecht. Das Segment L5/S1 ist mit über 80% am häufigsten betroffen, gefolgt vom Segment L4/5. Die Inzidenz einer symptomatischen operationspflichtigen Progression des Gleitens bei initial asymptomatischen Patienten mit bilateraler Spondylolyse wird mit ca. 5% bewertet, wobei mit steigendem Alter die Wahrscheinlichkeit der Progredienz abnimmt.
Degenerative Spondylolisthese. Die degenerative Spondylolisthese hat abhängig von Alter und Geschlecht eine Prävalenz von bis zu 40% mit einem Maximum im Alter von über 60 Jahren und einer Dominanz des Segmentes L4/5 sowie des weiblichen Geschlechtes.
Diagnostik. Die klinisch-radiologische Diagnostik umfasst eine klinische neuro-orthopädische Untersuchung (Analyse der Rumpfstatik und des Ganges, Schanzenphänomen der Dornfortsätze, Beweglichkeit der LWS, ISG und Hüftgelenke, Sensibilitätsstörungen, Paresen, Reflexauffälligkeiten und Schmerzphänomenen, Hüftlendenstrecksteife, etc.). Typisch ist eine belastungsabhängige Schmerzsymptomatik, die je nach zugrunde liegender Pathologie eher lumbal, pseudoradikulär, radikulär oder im Sinne einer Claudicatio spinalis sein kann. Häufig sind die Beschwerden im Liegen, im Sitzen und in lumbaler Flexion reduziert. Bei höhergradigen Spondylolisthese besteht häufig eine komplexe Störung der gesamten Wirbelsäulen-Becken-Statik mit lokaler segmentaler Kyphosierung, ausgleichendender lumbaler Hyperlordose, Flexion der Hüft- und Kniegelenke im Stand bis hin zu Kontrakturen.
Die radiologische Basisuntersuchung besteht aus einer Röntgenuntersuchung der LWS im Stand. Das Ausmaß des Gleitprozesses wird in der Regel nach Meyerding klassifiziert (Grad I: < 25%, Grad II: 25-50%, Grad III:51-75%, Grad IV: 75-100%, Spondyloptose: [100%). Seitliche Funktionsaufnahmen in Hyperextension und –flexion können in Bezug auf die Stabilität des betroffenen Segmentes sinnvolle Zusatzinformationen liefern. Das MRT ist die Methode der Wahl zur Darstellung der Spinalkanalstenose bei Spondylolisthese. Ligamentum flavum, Duralschlauch, Bandscheibe, Epiduralraum und Nervenwurzeln lassen sich hier gut abbilden. Liegen Kontraindikationen für ein MRT vor, sind CT und ggf. Myelographie sinnvoll. Ergänzende neurologische elektrophysiologische Untersuchungen können im Einzelfall indiziert sein, v.a. bei radikulärer oder fraglich radikulärer Ausstrahlung der Beschwerden. Für beide Formen der Spondylolisthese ist die Progredienz des Gleitens von klinischer Relevanz.
Therapie.
Isthmische SL: Die zufällige Diagnose einer asymptomatischen Spondylolyse oder isthmischen SL beim Erwachsenen ist nicht therapiebedürftig. Eine symptomatische Spondylolyse oder isthmische SL sollte zunächst konservativ behandelt werden, vorausgesetzt, dass keine frischen alltagsrelevanten Paresen vorhanden sind. Dies beinhaltet eine individuell angepasste Kombination aus Schmerzmedikation, ggf. inkl. Infiltrationen, Reduktion der mechanischen Belastung des betroffenen Segmentes (z.B. intermittierend durch Sportpause, ggf. Korsett), Anpassung der täglichen Belastungen des Segmentes (Arbeitsplatzoptimierung, Freizeitanpassung), Physiotherapie, rumpfstabilisierende Übungen in Eigenregie und Physikalische Therapie. Bei erwachsenen symptomatischen Patienten sollte nach Versagen konservativer Maßnahmen in Abhängigkeit von der individuellen Einschränkung der Lebensqualität des Patienten eine operative Stabilisierung des betroffenen Segmentes durchgeführt werden. Hierbei handelt es sich um eine instrumentierten Spondylodese. Die Ergebnisse der instrumentierten Spondylodese sind klinisch bzgl. Schmerzreduktion nicht wesentlich besser als die der nicht-instrumentierten Spondylodese, jedoch sind die Fusionsraten durch die Instrumentation deutlich verbessert. Welche Form der Instrumentation (anteriore, transforaminale, posteriore, kombinierte oder sonstige lumbale interkorporelle Fusion) bei Spondylolysen oder isthmischen SL besser oder weniger geeignet ist, bleibt Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung.
Degenerative SL: Die meisten Patienten mit symptomatischer degenerativer SL sind mit konservativen Therapiemaßnahmen gut und erfolgreich behandelbar. Patienten mit sensiblen Defiziten, Paresen oder Cauda equina-Syndrom haben eine relativ große Wahrscheinlichkeit, ohne Operation progrediente funktionelle Einbußen zu erleiden. Eine Zunahme des Gleitprozesses korreliert mit beruflichen Tätigkeiten, die repetitive Flexionsbewegungen der LWS mit sich bringen. Eine Zunahme des Gleitprozesses ist weniger wahrscheinlich, wenn die Bandscheibe bereits mehr als 80% ihrer ursprünglichen Höhe verloren hat und wenn es bereits intervertebrale Osteophyten gibt. Eine Zunahme der klinischen Symptome korreliert nicht mit einer Zunahme des Gleitens. Die konservative Therapie beinhaltet eine individuell angepasste Kombination aus Schmerzmedikation, ggf. Infiltrationen, Reduktion der mechanischen Belastung des betroffenen Segmentes (z.B. durch Korsett, Sportpause), Anpassung der tgl. Belastungen des Segmentes, Physiotherapie, rumpfstabilisierende Übungen in Eigenregie, Physikalischer Therapie. Eine Evidenz-Analyse einer DWG-Arbeitsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass die operative Therapie nach Ausreizen konservativer Maßnahmen klinisch bessere Ergebnisse liefert als die konservative Die operative Therapie der degenerativen SL sollte i.d.R. ein dekomprimierendes Verfahren mit oder ohne zusätzliche Segment-Stabilisierung beinhalten
Aufgrund klinischer Erfahrung erscheint postoperativ eine muskuläre Stabilisierung das Rezidivrisiko von Rückenschmerzen insbesondere durch muskuloligamentäre Überlastung benachbarter Segmente zu reduzieren und das Outcome zu verbessern.